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Channel: Buchmesse – Schröder & Kalender
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Was heute läuft, kann man mit dem Stock dran fühlen

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Der Bär flattert in östlicher Richtung.
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Die Universitätsbibliothek Leipzig, genauer: das Sondermagazin in der Bibliotheca Albertina, hat das Archiv übernommen, dazu gehören MÄRZ-Erst- und Lizenzausgaben, Sekundärliteratur, Herstellungs-, Vertriebs- und Firmenunterlagen. Außerdem erhält die UB Leipzig die Korrespondenz und alle Redaktionszustände der Folgen von ›Schröder erzählt‹ seit 2005 sowie MÄRZ-affine Kunstwerke – also praktisch alles, was mit unserem Lebenswerk zusammenhängt, zu dem natürlich das grafische Werk von Jörg Schröder und dessen gelb-rot-schwarzes MÄRZ-Design gehört.

Wir waren seit einigen Monaten wieder einmal dabei Briefe, Manuskripte, Notizen und Zettelkästen zu ordnen. Seit Juni arbeite ich allein. Während ich diese Materialien nummeriere und in die Leipziger Liste aufnehme, möchte ich einige Stücke vorstellen, die nach Leipzig gehen.

Die Entstehung dieser Literaturbleche erzählt Jörg Schröder mir in ›Anstößige Verben‹. Daraus ein Zitat:
Bazon Brock war begeistert über sein Buch ›Was wird. Zur Revolution des Ja‹ im Melzer Verlag. Er lobte mich als »besten deutschen Verleger« über den grünen Klee.

Bazon Brock: Was wird. Zur Revolution des Ja. Foto: Barbara Kalender

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Nun gab es kein Halten mehr, die gemeinsamen Aktionen sprudelten, und das vierzehn Tage vor der Buchmesse! Eigentlich wollte ich, wie jedes Jahr, auf dem Melzer-Stand Großfotos von Autoren und Buchumschlägen mit Knochenleim aufziehen, das hatte ich ja bei Hannes Jähn gelernt. Jetzt mußten es ›Literaturbleche‹ – Brocks letzte Aktion vom Mai 1968 – in der Manier von Hinweis- und Verbotsschildern sein, die er in der Galerie Patio ausstellte und in Frankfurt aufhängte. Zum Beispiel baumelte unter dem Schild Freiherr-vom-Stein-Straße der Blechtext: »Der Tod muß abgeschafft / werden, diese verdammte / Schweinerei muß aufhören. / Wer ein Wort des Trostes / spricht, ist ein Verrräter / Bazon Brock«, an einem Baukran unter der profanen Warnung: »Der Aufenthalt / unter der angehobenen Last / und im Schwenkbereich / der Drehbühne / ist verboten. / Lebensgefahr!« hing sein Literaturblech:

Literaturblech von Bazon Brock

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Was heute läuft / kann man mit dem Stock dran fühlen / Melzer. Literaturblech: Jörg Schröders Entwurf für die Buchmesse 1968. Foto: Barbara Kalender

 

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Den zweiten Text hatte ich mir einfallen lassen, damit wollte ich den Fußboden belegen, Bazons Werk kam an die Wand. Beide Bleche wurden in der nötigen Anzahl geprägt. Der Stand sah scharf aus! Vor allem war es komisch, wenn die Leute auf den roten Blechschildern gingen. Dann knackte es, und sie erschraken. Außerdem hatte Brock noch ein Objektbuch hergestellt, das stand vor der Messekoje. Auf zwanzig Lochplatten, einen Meter hoch, die in einer Führungskonsole hingen – solche Ständer findest du in Eisenwarenhandlungen zur Präsentation von Kleinteilen –, hatte er jeweils einige Seiten der ›Was machen Sie jetzt so‹-Broschüre geklebt, dazu noch Gegenstände aus seinem persönlichen Besitz: eine Brille, Zigarettenkippen, eine Unterhose, Socken … Sachen, die man einem Suchhund zum Schnüffeln geben würde. Natürlich hatte die Unterhose auch den dezenten gelben Fleck! Mensch, eben ein Ready-made, in dem man blättern konnte wie in einem Buch.

Das Kunstwerk stand noch 1973 im Keller meiner Frankfurter Wohnung. Bazon hatte es nicht abgeholt. Als ich nach dem Konkurs des März Verlages die Kunst, Antiquitäten und meine Bibliothek verkaufen mußte, kam auch Horst Nibbe aus Köln. Er nahm so viele Bücher mit, wie in seinen Caravan gingen, kurz vor der Abreise entdeckte er das Brock-Buch im Keller und kaufte es für fünfhundert Mark. Ein gutes Geschäft, das Objekt wäre heute zehntausend Mark wert. Aber leider ist ihm das Schicksal der Beuysschen Badewanne widerfahren: Der Antiquar hatte seine Karre so vollgeladen, daß er die Lochplatten nebst Ständer bei einem Freund in Wiesbaden unterstellte – ebenfalls in einen Keller. Bald darauf inspizierte der Wiesbadener Hausmeister den Abstellraum, schrie »Ekelhaft!«, als er die alte Unterhose entdeckte, und warf »den Dreck« weg. Der arme Nibbe erzählt mir die Geschichte dieses Verlustes immer wieder kummervoll seufzend, wenn wir uns mal in Köln sehen.

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BK / JS

 


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